Ein Fest für die Augen, eine Tortur für die Nase

[dropcap]D[/dropcap]as darf bei keiner Stadtbesichtigung in Fès fehlen: Die Gerber von Fès el-Bali gehören zu den berühmtesten Handwerkern Marokkos, Leder aus Fès wurde bereits im Mittelalter bis nach Bagdad exportiert.

Beim Aufstieg zur Aussichtsplattform des meistfotografierten Viertels in Fès el-Bali wird jedem Besucher eine „Gasmasque de Fès“ gereicht – ein Bund Minze gegen den bestialischen Gestank. Ich verzichte darauf, trotz des Wissens um den eigenartigen Geruch von Aas und chemischen Ausdünstungen. Wenn die Menschen, die hier arbeiten, tagtäglich diesen Geruch ertragen müssen, kann ich das für eine Weile auch.

Oben angekommen schauen wir auf große, farbenfroh leuchtende Steinbottiche. Schaf-, Ziegen-, Rind- und Kamelleder wird hier seit Jahrhunderten auf die gleiche Weise gegerbt. In die Erde eingelassen, reiht sich Bottich an Bottich, einige zugedeckt, andere gefühlt mit milchiger, wiederum andere gefüllt mit einer roten, braunen oder gelben Flüssigkeit. In einem Bottich steht ein Gerber kniehoch in der Brühe, andere stampfen in den Bottichen, wieder andere rühren in milchiger Kalkbrühe, entfernen Haare von den Häuten, ziehen Lederstücke aus der Gerbbrühe, bearbeiten sie mit einem Messer, werfen sie von einem Bottich in den anderen und treiben so die Metamorphose der stinkenden, faulenden Haut in wohlriechendes haltbares Leder voran.

[dropcap]U[/dropcap]m die Prozesse zu durchschauen, helfen die Erklärungen der Führer kaum. Nur so viel bleibt hängen: Gegerbt werde hier mit Methoden, die seit Jahrtausenden in Gebrauch sind, denn das Gerben sei so alt wie die Menschheit. Seine Anfänge reichten in die Steinzeit zurück, als man durch Zufall entdeckte, dass Rauch oder bestimmte pflanzliche Stoffe Tierhäute haltbarer machten. Die alten Ägypter, die Griechen und Römer hätten die Gerbverfahren verfeinert. Spätestens durch die Römer seien sie auch in Nordafrika heimisch geworden. Die Römer hätten pflanzliche Gerbmittel aus Kiefern und Erlen, aus der Granatbaumrinde, aus Galläpfeln, Sumach und Eichen hergestellt. Das sei hier heute noch so, selbst wenn anderen Orts synthetische Färbmittel auf dem Vormarsch seien.

Auch wenn sich durch Beobachtung und die Erklärungen nicht alles erschließt, so muss doch in den Bottichen durch das Hantieren und Hin und Her der Gerber ungefähr Folgendes geschehen: In ersten Schritten werden die Tierhäute für den Gerbprozess vorbereitet, durch Waschen Verunreinigungen beseitigt, durch „Äschern“ die Haare entfernt und das Kollagengefüge der Häute gelockert. Weitere biochemische Prozesse bereiten sie auf die eigentliche Umwandlung von Haut in haltbares Leder vor. Dabei kommen Gerbmittel pflanzlicher, tierischer und mineralischer Herkunft zum Einsatz. Der Sud besteht aus Walnussblättern, Eichen- und Kastanienrinde und speziell behandeltem Taubendreck, gekocht und über Nacht gut durchgezogen. Im Gegensatz zum Einsatz von Ammoniak bestehe für die Arbeiter dadurch keine Gefahr, sich Hautätzungen zuzufügen. Dadurch aber entstehe der penetrante Gestank. Die Arbeitenden gerben die Felle in den etwa 1 Meter tiefen Laugenbottichen, indem sie barfuß mit kurzen Hosen in der stinkenden Brühe die Felle stundenlang walgen, damit sie geschmeidig werden. Solche Gerbverfahren seien sehr langwierig, dauerten bis zu einem Jahr. Nach der Gerbung durchläuft das Leder noch einige Prozesse, wird gespalten, falls es zu dick ist, wird gefärbt und gefettet. Auf den Dächern der flachen Gebäude rund um die Gerberei wird das Leder zum Trocken ausgelegt. Lederstücke in unterschiedlichen Farben liegen zum Trocknen aus.

Die Minze ist spätestens jetzt vergessen, an den Geruch sind wir längst gewöhnt und in der Nase haben wir eher den Ledergeruch der Auslagen mit Schuhen und Taschen. Das Leder aus Fès, neben der blau-weißen Keramik traditionelles Markenzeichen der Stadt, stapelt sich zu Taschen, Sitzkissen und Schuhen verarbeitet in den Verkaufsräumen der Gerberei ringsherum.

[dropcap]D[/dropcap]iese Arbeit ist dreckig und anstrengend. Noch immer wird der Beruf des Gerbers vom Vater an den Sohn übergeben und damit das Wissen um diese „Kunst“ von Generation zu Generation weitergegeben. Seit alters her ist der Gerberberuf nicht sonderlich hoch angesehen. Die Herstellung von Leder gilt als ein schmutziges und anrüchiges Gewerbe. Die Gerberei war unrein und der Gerber gehörte in der mittelalterlichen Stadt in den untersten Stand des Handwerks. Zudem war es früher eine gefährliche Arbeit. Milzbrand, die Berufskrankheit der Gerber, konnte schnell zum Tode führen. Heute ist das nicht anders, aber im Vergleich zu anderen Handwerksberufen sind die Gerber relativ gut bezahlt. Fälle von Milzbrand soll es keine mehr geben. Die Veterinärbestimmungen seien verschärft und gegen den Bacillus anthracis gäbe es heute schließlich Antibiotika, so wird uns versichert.

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